Sonntag, 27. April 2014

Frühling & Wahlen im fernen Wakhan-Distrikt

Es ist kalt, bitter kalt, obwohl der Frühling längst woanders angefangen hat. Der Himmel ist klar, die Luft ist sauber und die Sonne scheint stark. Weit und breit Schnee, weißer glänzender Schnee. Wir sind nicht in Kabul, sondern in Wakhan. Der Wakhan-Distrikt (Provinz Badakhshan) liegt nur 1.800 Meter tiefer als der Mount Everest. Ihr schmales Hochtal bildet den Korridor zwischen Afghanistan,  Tadschikistan, China und Pakistans. An einer Grenzstelle kann man in Wakhan die Gebirgsketten der drei Staaten bewundern.


Einfache Lehmhäuser im April
                                             
Die Menschen leben sehr traditionell, fast wie vor tausenden Jahren. Die allermeisten Menschen sind sehr arm, aber glücklich. Straßen gibt es kaum, die Autos können nicht schneller als 25 km/h fahren. Manchmal dauert die Fahrt von einer Gemeinde in die andere einen Tag. Auch die Wakhanis wählten – aber in Wahllokalen getrennt nach Frauen und Männern.


Yute-Zelt in den Sommermonaten

Die Wahlurnen wurden per Esel und Auto in die Provinzhauptstadt Faizabad gebracht. Leider ist die Stimmenzählung in Faizabad nicht abgeschlossen. Dafür hat die Wahlkommission am Ostersonntag die zweite Etappe der Ergebnisse veröffentlicht: Nach 50% der gezählten Stimmen liegt Abdullah Abdullah an der Spitze mit 44,4%, gefolgt von Ashraf Ghani (33,2%), Zalmai Rassul (10,4%) und Abdul Rassul Sayaf (7%). Damit ist jetzt schon klar: den Einzug in den Präsidenten-Palast kann entweder Abdullah oder Ghani schaffen. Zalmai Rassul und Abdul Rassul Sayaf können mit ihren Stimmen die Wahl zugunsten eines Kandidaten beeinflussen.
Nun bleiben alle gespannt auf Veröffentlichung des vorläufigen Gesamtergebnisses.
Vielleicht geschieht es früher als geplant ...





Dienstag, 15. April 2014

Zu den Wahlergebnissen aus Kabul, Frauenpower & Frühling!


Die Bäume blühen und duften, die Vögel zwitschern, diese Wiesen sind überall grün.
Die Paghman-Bergen nahe Kabul sind dagegen an der Spitze weiß - immer noch bedeckt von dem Winterschnee. Das malt ein traumhaft schönes Bild von der Landschaft. Weiß und grün, weiß in grün!
In der Wahlkommission wird eifrig gezählt. Jetzt wurde das bisher Gezählte bekannt gegeben: Nach dem Ergebnis der gezählten 10% der Stimmen liegt Dr. Abdullah an der Spitze mit 41,9%, gefolgt von Dr. Ashraf Ghani (37,6%) und Dr. Rassul (9,8%). Es heißt aber, dass es Ungereimtheiten gegeben haben soll.
Trotz all der Ungereimtheiten steht ein wirklich positives Ergebnis der Wahl schon fest: Es haben mehr als 30% Frauen ihr Kreuzchen gemacht. Das mag auf dem ersten Blick für westliche Verhältnisse nichts Besonderes sein, doch für Afghanistan schon.
Wenn man bedenkt, dass Frauen in den Distrikten und Dörfern jeglicher Rechte beraubt werden, sie am öffentlichen Leben und der Tagespolitik überhaupt nicht teilnehmen (dürfen), ist das schon bedeutend. Ihre Beteiligung ist ein klares Zeichen, dass afghanische Frauen ihr Land politisch mitbestimmen wollen! Zudem machten einige starke Politikerinnen aktiv Wahlkampf. Die bekannteste ist Habiba Sorabi, die ehemalige Gouverneurin der Provinz Bamyan.

Die international bekannte afghanische Parlamentarierin Fawzia Koofi hatte angekündigt, sich als Präsidentschaftskandidatin aufzustellen, doch sie hat davon Abstand genommen, weil es zu früh sei. Sie wartet bis 2019, bis die junge Generation, die aufgeschlossen wäre für ihre modernen politischen Ideen sind, wählen können und die jetzigen mächtigen Warlords nicht mehr (stark) an der Macht sind.  Am Mittwoch wurde bekannt, dass die Parlamentarierin Mariam Koofi, die ältere Schwester von Fawzia, von einem bewaffneten Mann schwer verletzt wurde.

Schöne Fotos zu den Wahlen findet ihr hier:
http://www.bbc.com/news/world-asia-26893972

David Majed, Kabul


So viel zur aktuellen Situation in Kabul, nun ein Wort zu den emanzipierten Frauenfiguren in unserem Roman:


Tante Farida, die Schwester von Mahboobs Mutter, ist eine von ihnen.
Mahboob erinnert sich an sie, ihre klirrenden Armreifen, ihr rauhes Lachen ... 

Tante Farida war sehr "modern". Meinem Vater verschlug es die Sprache, wenn sie sich in seinem Beisein ungeniert eine Zigarette anzündete. Wenn sie den eigenwilligen Kopf in den Nacken legte und den Rauch an die Decke blies. Sie hatte große dunkelbraune Augen und sehr kräftiges, dichtes Haar, das ihr auf die Schultern fiel; zur Arbeit bändigte sie es mit einer Haarspange, die sie oft bei uns abnahm, so dass ich zusehen konnte, wie ihre Mähne auseinandersprang. Diesen Auenblick liebte ich ganz besonders.
(I, 8)

Tante Farida hat in den sechziger Jahren, als die Sowjets das Land bestimmten, aber auch Franzosen, Amerikaner und Deutsche im Land Entwicklungsprojekte finanzierten, Universitäten bauten und für die Bildung von Frauen eintraten, eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht. Als Mahboob klein ist, also Anfang der siebziger Jahre, arbeitet sie im Krankenhaus.
Sie erzählt Mahboobs Mutter von allem, was sie dort erlebt und was ihr zu Ohren kommt, vor allem, als sich Ende der siebziger die Situation unter den Sowjets, die immer mehr Macht im Land gewinnen, verschärft...

Mehr zu ihrer Figur siehe in unserer Rubrik "Die Arbeit am Roman".





Freitag, 11. April 2014

Kabul, nach den Wahlen




Jetzt ist das Wetter richtig angenehm in Kabul. Man sagt, dass der erste Monat im Jahr Hamal (21. März – 20 April) der schönste ist. Die Sonne scheint immer stärker und wärmt die Menschen und gibt ihnen Energie. Der Himmel ist blau, schön blau - von wenigen Regentagen abgesehen!

Inzwischen haben alle Wahlurnen Kabul erreicht, denn gezählt werden darf nur in der Zentrale der Wahlkommission. Nach inoffiziellen Angaben sind Dr. Ashraf Ghani, Dr. Abdullah Abdullah und Dr. Zalmai Rassul vorne und kämpfen um den Einzug in den Arg, dem Präsidentenpalast. Weil ich politisch neugierig bin, fragte ich meine Bekannten, wen sie wählten:

Ahmad (Student, 20 Jahre): Dr. Ashraf Ghani hat meine Stimme bekommen. Er ist für mich der beste Kandidat, weil er in politischen Debatten im Fernsehen sich gegenüber den anderen Kandidaten behauptet hat. Außerdem hat einen sehr guten Entwicklungsplan für das Land und vor allem hat er sehr gute Kenntnisse von der Wirtschaft. Ich vertraue ihm, dass er Arbeitsplätze schafft. 

Zubair (Ladenbeistzer, 35 Jahre): Ich habe Dr. Abdullah gewählt, weil er einer von uns ist. Er kennt das Volk und sein Land sehr gut: Und er war die ganze Zeit hier, in guten und schlechten Zeiten. Dr. Abdullah hat gegen ausländische Invasoren gekämpft. Außerdem kenne ich ihn persönlich und seine Familie.

Maniza: (Beamtin, 53 Jahre):  Dr. Zalmai Rassul ist der richtige Mann für Afghanistan. Er wird die Politik von Hamid Karzai fortführen. Und die war gut. Wir haben nie solche friedliche und demokratische Zeiten erlebt, wenn ich es mit den Taliban- oder Mujaheddin-Regierungen vergleiche. Ihm traue ich, dass er eine ausgleichende Politik gegenüber dem Ausland, die für unser Land lebenswichtig ist, erfolgreich das Land führen wird. Obwohl es angedacht war, das vorläufige Ergebnis erst am 24. April zu veröffentlichen, heißt es inoffiziell, dass die Ergebnisse in den nächsten Tagen bekannt gegeben wird.
David Majed, Kabul


Nomaden im Frühling
 Foto: Nancy Dupree

Sonntag, 6. April 2014

Kabul am Sonntag, am Tag nach den Wahlen


Das Wetter ist nicht mehr regnerisch, die Sonnenstrahlen durchdringen die Wolken. Die Straßen sind  wieder belebt. Autos drängen, hupen und man sieht wieder Menschen auf den Bazaren, in den Läden, Kaufhäusern und Behörden. Jeder geht seinem Geschäft nach, denn die Präsidentschaftswahlen sind vorbei. Gestern war ein besonderer Tag in der afghanischen Geschichte: Das Volk hat einen neuen Staatspräsidenten auf eine demokratische Weise gewählt – mit kaum Zwischenfällen! Die Wahllokale wurden in Moschen, Schulen, Kliniken, Polizeibehörden und Distriktbehörden eingerichtet. Nach Schließung der Wahllokale sagte der Leiter der Wahlkommission auf einer Presse-Konferenz, die live im Fernsehen übertragen wurde, dass nach ersten Berechnungen ca. 65 % der Männer und 35 % Frauen zu den Wahlurnen gegangen sind. Das ist eine gute Wahlbeteiligung, denn  die Taliban hatten angekündigt, die Wahlen mit Selbstmordanschlägen zu verhindern. Das Bedauerliche ist jedoch, dass Menschen in vielen Distrikten und abgelegenen Dörfern, vor allem in südlichen und östlichen Provinzen mit schlechter Sicherheitslage, aus Angst vor Terror zuhause geblieben sind.  Alle, die Kandidaten, die Politiker, die Internationalen und die Menschen, warten nun gespannt auf das vorläufige Ergebnis. So wie ich auch.
DM

http://www.firstpost.com/topic/place/afghanistan-gallery-31-1.html

Samstag, 5. April 2014

Nach den Schüssen

Das Rätsel dieser Welt löst weder du noch ich,
jene geheime Schrift liest weder du noch ich -
Hinter jedem Vorhang ist die Rede zwar von mir und dir,
doch wenn der Vorhang fällt, bist weder du noch ich.

                                                                Omar Chajjam


Heute sind die Wahlen in Afghanistan, und gestern wurde die Fotoreporterin Anja Niedringhaus erschossen. Wieso berührt mich dieser Tod in besonderer Weise?
In ihren Interviews hat sie betont, dass sie sich nicht so sehr für die Soldaten interessiert, sondern für das, was wir Zivilisten nennen. In diesem Wort "Zivilist" schwingt der Bezug zum Krieg stets mit. Zivilisten sind immer die, die im Kriegszustand nicht militärisch agieren. In der Regel sind es Kinder, Frauen, alte Menschen. Gäbe es nicht diesen Bezug, spräche man vielleicht einfach von den Menschen oder vielleicht von den Bewohnern eines Landstrichs, einer Stadt.
Anja Niedringhaus, so schreibt der Journalist Hasnain Kazim, der mit ihr befreundet war, heute in seinem Nachruf, habe gesagt: "Ich fotografiere selten Soldaten, weil mich das nicht interessiert. Mich interessiert: Was passiert danach, wenn sie geschossen haben, was ist das Ergebnis für die Menschen?"
 
Auch ihre Kollegin, Hannah Lucinda Smith, sprach in einer Radiosendung davon, dass es ihr Ethos sei, zu dokumentieren, was mit den Menschen geschieht, deren Leben vom Krieg bestimmt ist. Dass ihr Ziel sei, durch den Bericht über diese Menschen andere dazu zu bewegen, den Krieg abzulehnen.
Sie beklagte, dass es den Medien in den letzten Jahren immer mehr um die Berichte an der Front gehe und immer weniger um die Menschen, über deren Wirklichkeit Journalistinnen wie sie oder Anja Niedringhaus berichten wollten. (Ausnahmen bestätigen die Regel.)

Anja Niedringhaus habe ich nicht gekannt, nur ihre Arbeiten; ich bewundere ihren Mut und ihren Optimismus, ihre Leidenschaft, ein anderes Land gut kennen zu wollen, über die "sensationellen" Bilder hinaus. Ich finde es überaus traurig, dass sie mit dem Leben für dieses Engagement bezahlen musste - wie viele andere JournalistInnen heute in der ganzen Welt leider immer wieder.
TL










Freitag, 4. April 2014

Kabul, am Tag vor den Wahlen (2)

Das Wetter ist bewölkt, es regnet. Die Straßen sind fast leer. Man muss lange warten, bis ein Auto durchfährt. Es ist nicht still, weil heute Freitag ist, sondern weil morgen ein neuer Staatspräsident gewählt wird. Die Menschen sind verängstigt und bleiben lieber zuhause.
Die Regierung hat aus Angst vor Anschlägen den Schulen und Universitäten eine Woche frei gegeben. Seit letztem Dienstag sind diese geschlossen und machen erst am kommenden Montag wieder auf. Es gab ja viele blutige Selbstmordanschläge auf die Gebäude der Wahlkommission und sogar im Innenministerium selbst, das eigentlich für die Sicherheit der Menschen sorgen soll.   Das einzig Gute an diesen Wahlen ist, dass ein echter Wahlkampf durchgeführt wurde. Die Präsidentschaftskandidaten sind durch das ganze Land gereist – auch in Regionen, in denen die Taliban das Sagen haben, zum Beispiel in der Provinz Helmand -, und sie haben vor großen Menschenmengen gesprochen.
Am Ende haben sich drei Kandidaten durchgesetzt: Dr. Ashraf Ghani Ahmadzai (ehemaliger Finanzminister), Dr. Abdullah Abdullah (ehemaliger Außenminister) und Dr. Zalmai Rassul (ehemaliger Außenminister). Ob einer von ihnen die absolute Mehrheit erhält, ist stark zu bezweifeln. Daher ist eine weitere Runde zwischen den beiden Besten zu erwarten. Die Menschen im Land wollen das nicht. Denn es würde nicht nur viel Geld kosten, sondern die unsichere politische Situation fortsetzen, eine gute Zeit für die ultra-konservativen Taliban und Al-Kaida weiter mit Selbstmordanschlägen die Menschen in Atem zu halten.
Vielleicht löst man das Problem auf afghanische Weise und die drei erfolgreichsten Kandidaten einigen sich unter einander.
DM






Let´s hope for tomorrow.
Let´s hope for Afghanistan.
TL

Kabul, am Tag vor den Wahlen


 Morgen sind Wahlen in Kabul
  Wie wird die Zukunft aussehen?


Ihre?


Seine?


Heute sprach ich mit dem Schuster und Schuhputzer, den die Afghanen Mutschie nennen. Er hat mir ein bisschen von seinem traurigen Leben erzählt. Er ist 43 Jahre und hat drei Kinder, 12, 10 und 8 Jahre alt. Er trägt einen langen Bart, der grau-schwarz glänzt. Auf dem Kopf trägt er eine weiße Gebetskopfbedeckung. Er lächelt. Sakhidad, so heißt sein Name, stammt aus der Provinz Kapisa, eine Nachbarprovinz von Kabul. Er putzt, flickt und näht Schuhe Tag für Tag, Woche für Woche und Jahr für Jahr – und das seit 13 Jahren. Er hat eine kleine Karre aus Blech, in der er sitzt. Stehen kann er nicht, zumindest nicht lange, denn er hat das linke Bein verloren – bei einem Tritt auf eine Mine, als er 1983 in seinem Dorf spazieren ging. „Allah sei Dank, dass das andere Bein kaum Schaden genommen hat “, sagt er demütig und dankend zugleich.

Weil man mit Schuhputzen kaum etwas verdienen kann, will ich wissen, ob das verdiente Geld überhaupt zum Lebensunterhalt reicht. Immerhin hat er drei Kinder und eine Frau zu ernähren.  „Das reicht gerade so! An sehr guten Tagen verdiene ich bis zu 500 Afghani, an schlechten wie den Regen- oder Wintertagen gar nichts. Dann zahle ich mein Mittagessen aus der eigenen Tasche.“ – „Und wie machst Du das mit dem Unterhalt für deine ganze Familie in den Wintermonaten?“, frage ich neugierig. „In den guten Monaten sammle ich das Geld, zahle die Miete im Voraus und kaufe auch mal einen Sack Reis für die schlechten Zeiten. Dann habe ich im Winter nicht so hohe Kosten. Außerdem vertraue ich auf Allah.“   

Ich sehe ihn bewundernd an, denn es gibt heute in Kabul an jeder Straßenecke viele gesunde Menschen, die betteln. Sakhidad könnte es allemal tun. Aber Sakhidad hat seinen Stolz. Er möchte trotz seiner Beinamputation seinen Unterhalt in ehrenhafter Weise verdienen.   Ich frage Sakhidad, was er von den Wahlen hält. „Ich finde Wahlen sehr wichtig. Es ist gut, dass die Menschen in unserem Land die Möglichkeit haben, ihren Staatschef zu wählen. Das war in der Vergangenheit nie der Fall.“ – „Und wen wirst Du wählen?“ – „Das möchte ich für mich behalten. Aber der neue Präsident muss ein gerechter und fähiger Staatspräsident sein, der sein Volk liebt. Er muss sich seiner Verantwortung gegenüber dem Volk vollkommen bewusst sein. Er soll den Frieden bringen und Arbeitsplätze schaffen.“ 

Morgen wird ein neuer Staatspräsident gewählt.  Zum ersten Mal darf Hamid Karzai nicht mehr antreten, weil er zwei Amtsperioden hinter sich hat. Drei Kandidaten, nämlich Dr. Ashraf Ghani (ehemaliger Finanzminister), Dr. Zalmai Rassul (ehemaliger Außenminister) und Dr. Abdullah Abdullag (ehemaliger Außenminister) sind die Kandidaten mit den besten Aussichten.

David Majed, aus Kabul

Nachtrag: 
Soeben erreicht uns diese Meldung:

http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-deutsche-kriegsfotografin-niedringhaus-erschossen-a-962545.html

TL