Die Arbeit am Roman

David in den Bergen des Hindukusch, nahe der chinesischen
Grenze, 2011

Tanjas Schreibtisch in Berlin


David und ich haben drei Jahre lang an diesem Buch gemeinsam gearbeitet. Zuvor hatte David bereits drei Jahre allein an der Grundidee eines Romans gearbeitet, in dem er seine eigene Erfahrung der Flucht als Kind aus Afghanistan nach Deutschland, seine Rückkehr nach zwanzig Jahren und das Gefühl, zwei Kulturen anzugehören, verbinden wollte mit den Geschichten anderer Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Hinzu kam sein Wunsch, Afghanistan in Deutschland einmal anders darzustellen als lange Zeit in den Medien - mit Panzern, Staub, Burkas und Elend.
David, der selbst nie Literatur studiert hat, sondern Jura, las viele Romane und sogar Handbücher, wie "How to Write a Bestseller in 24 Steps." Er entwickelte eine Geschichte, in der die Rückkehr Mahboobs und die Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn im Mittelpunkt stand.
Er hatte ein Gerüst. Ein Skelett. Er überlegte.
Dann brachte er über eine Freundin eine Email in Umlauf, in der stand "Junger Autor sucht Unterstützung durch erfahrene/n SchriftstellerIn. Thema: Vatersuche in Afghanistan."
Diese Mail erreichte mich.
Afghanistan? Vatersuche? Ich weiß nicht, was, doch diese beiden Worte machten mich neugierig.
Ich schrieb, ich könnte mir eine Zusammenarbeit vorstellen.

Noch während ich sein Manuskript las, klingelte es an der Tür. Feldpost aus Afghanistan! 
Ein riesiges Paket.
Ich öffnete es. Ein unbestimmter Duft schlug mir entgegen.
Kleine Päckchen mit farbigen Gewürzen, ocker, braun, grün. Ein großes Päckchen mit etwas Weißem. Ich feuchtete den Finger an. Salz. Feines Salz. Mehrere Päckchen mit Tee, grünem, schwarzem. Und sogar: ein Stein! Ein ziemlich großer, ziemlich schwerer weiß-grauer Stein. Ich hob ihn aus dem Paket. Ich drehte ihn um. Er glitzerte im Licht. Was war das? Ich roch daran. Sollte das symbolisch sein? Ein Stück Afghanistan? Ich kam auf die Idee, wie ein Kind, eine Geschmacksprobe zu machen. Salzig. Es war ein Stück Salz.
Dann fand ich noch eine Cd. Als meine Familie nach Hause kam hörten sie unbekannte orientalische Klänge, auf dem Tisch stand ein riesiges Paket und es roch wie verwandelt.
Ich schrieb David eine Email: Ok. Ich machs. Ich hab das Manuskript noch nicht zu Ende gelesen, aber   das war die schönste Bestechung, die ich je bekommen habe!

Ich las das Manuskript mehrmals, machte Notizen und schickte David meine Vorschläge. Über Emails, Telefonate und bei sehr sehr raren Treffen traten wir in ein langes, intensives Gespräch. 
Ich las unendlich viele Artikel über Afghanistan, Romane und schließlich fing ich an, Persisch zu lernen. 
Welche Bücher ich besonders wichtig fand, wie diese Gespräche und das eigentliche Zusammenschreiben lief, dazu demnächst!

Zu den Figuren I

Tante Farida


Tante Farida war zunächst nur eine Skizze. 
Als Lieblingstante Mahboobs, als eine Erinnerung an seine Kindertage taucht sie auf. Lieblingsschwester der Mutter, bewundert von Mahboob, nachgeahmt von seiner älteren Schwester Aziza, kommt sie an den Nachmittagen häufig auf einen Tee zu Mahbobs Mutter. Alleinerziehend (sie hat einen Sohn in Azizas Alter, Zaki), berufstätig, eigensinnig, wird sie zum Inbegriff einer der "neuen Frauen" in Afghanistan in den sechziger und siebziger Jahren.


Dieses Foto schickte David mir irgendwann, damit ich sie mir besser vorstellen konnte; natürlich sieht sie nicht genauso aus. 

Im folgenden Foto/Video bekommt man einen ganz guten Eindruck von ihrer Zeit - und so blieb es auch in den siebziger Jahren, in denen dann Aziza mit neunzehn, zwanzig anfängt, Medizin zu studieren.

https://www.youtube.com/watch?v=cxboRdXBwck

Eins meiner Lieblingsvideos ist dieses: https://www.youtube.com/watch?v=H8r5LtN-CZA  

Als Mahboob 2002 nach Kabul zurückkehrt, hat er lange nichts von Tante Farida gehört. Zuhause in Frankfurt stand immer ein Foto von ihr auf der kommode seiner Mutter.
Mahboob fallen verschiedene Situationen mit ihr aus seiner Kindheit ein, udn er beginnt den Vater nach ihr zu fragen, was jedoch recht schwierig ist.
Ohne hier zu viel zu verraten, sei gesagt, dass Mahboobs Vater ihm irgendwann erzählt, dass Tante Farida ihm nach seinem Aufenthalt im Gefängnis beigestanden hat und dann mit dem Widerstandskämpfer Massoud ins Panjshirtal gegangen sei. Seither hat auch er nichts mehr von ihr gehört.
 Diesen Gedanken - Tante Farida im Widerstand - haben David und ich weiterverfolgt; ich habe angefangen zu recherchieren, was es mit diesem Massoud auf sich hatte und wie das Leben im Panjshirtal ausgesehen hat. Wir sprachen viel darüber am Telefon.
Es stellte sich heraus, dass wir über ihre Perspektive/ Erzählung einen Blick in das außergewöhnliche Leben der Mudschaheddin, was ganz neutral "Widerstandskämpfer" bedeutet, gewinnen würden.
Die Dokumentarfilme des inzwischen verstorbenen Christophe de Ponfilly waren dabei eine große Hilfe; er hat Massoud über zwanzig Jahre immer wieder begleitet. Der Filmregisseur Matthias Tiefenbacher hatte mich auf seine Arbeit aufmerksam gemacht.
(zu Shah Ahmed Massoud ein anderes Mal).

Tante Faridas Zeit im Panjshirtal in den 80ern und 90ern als Krankenschwester unter den erschwerten Bedingungen in einem wilden, schwer zugänglichen Tal in Zeiten des Krieges wurde für mich zu einer aufregenden Reise und zu einem Teil des Romans, den ich besonders liebe (Teil III, 6, 7 ff.) 
TL, 15.4.2014






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