Freitag, 4. April 2014

Kabul, am Tag vor den Wahlen


 Morgen sind Wahlen in Kabul
  Wie wird die Zukunft aussehen?


Ihre?


Seine?


Heute sprach ich mit dem Schuster und Schuhputzer, den die Afghanen Mutschie nennen. Er hat mir ein bisschen von seinem traurigen Leben erzählt. Er ist 43 Jahre und hat drei Kinder, 12, 10 und 8 Jahre alt. Er trägt einen langen Bart, der grau-schwarz glänzt. Auf dem Kopf trägt er eine weiße Gebetskopfbedeckung. Er lächelt. Sakhidad, so heißt sein Name, stammt aus der Provinz Kapisa, eine Nachbarprovinz von Kabul. Er putzt, flickt und näht Schuhe Tag für Tag, Woche für Woche und Jahr für Jahr – und das seit 13 Jahren. Er hat eine kleine Karre aus Blech, in der er sitzt. Stehen kann er nicht, zumindest nicht lange, denn er hat das linke Bein verloren – bei einem Tritt auf eine Mine, als er 1983 in seinem Dorf spazieren ging. „Allah sei Dank, dass das andere Bein kaum Schaden genommen hat “, sagt er demütig und dankend zugleich.

Weil man mit Schuhputzen kaum etwas verdienen kann, will ich wissen, ob das verdiente Geld überhaupt zum Lebensunterhalt reicht. Immerhin hat er drei Kinder und eine Frau zu ernähren.  „Das reicht gerade so! An sehr guten Tagen verdiene ich bis zu 500 Afghani, an schlechten wie den Regen- oder Wintertagen gar nichts. Dann zahle ich mein Mittagessen aus der eigenen Tasche.“ – „Und wie machst Du das mit dem Unterhalt für deine ganze Familie in den Wintermonaten?“, frage ich neugierig. „In den guten Monaten sammle ich das Geld, zahle die Miete im Voraus und kaufe auch mal einen Sack Reis für die schlechten Zeiten. Dann habe ich im Winter nicht so hohe Kosten. Außerdem vertraue ich auf Allah.“   

Ich sehe ihn bewundernd an, denn es gibt heute in Kabul an jeder Straßenecke viele gesunde Menschen, die betteln. Sakhidad könnte es allemal tun. Aber Sakhidad hat seinen Stolz. Er möchte trotz seiner Beinamputation seinen Unterhalt in ehrenhafter Weise verdienen.   Ich frage Sakhidad, was er von den Wahlen hält. „Ich finde Wahlen sehr wichtig. Es ist gut, dass die Menschen in unserem Land die Möglichkeit haben, ihren Staatschef zu wählen. Das war in der Vergangenheit nie der Fall.“ – „Und wen wirst Du wählen?“ – „Das möchte ich für mich behalten. Aber der neue Präsident muss ein gerechter und fähiger Staatspräsident sein, der sein Volk liebt. Er muss sich seiner Verantwortung gegenüber dem Volk vollkommen bewusst sein. Er soll den Frieden bringen und Arbeitsplätze schaffen.“ 

Morgen wird ein neuer Staatspräsident gewählt.  Zum ersten Mal darf Hamid Karzai nicht mehr antreten, weil er zwei Amtsperioden hinter sich hat. Drei Kandidaten, nämlich Dr. Ashraf Ghani (ehemaliger Finanzminister), Dr. Zalmai Rassul (ehemaliger Außenminister) und Dr. Abdullah Abdullag (ehemaliger Außenminister) sind die Kandidaten mit den besten Aussichten.

David Majed, aus Kabul

Nachtrag: 
Soeben erreicht uns diese Meldung:

http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-deutsche-kriegsfotografin-niedringhaus-erschossen-a-962545.html

TL

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen