Samstag, 5. April 2014

Nach den Schüssen

Das Rätsel dieser Welt löst weder du noch ich,
jene geheime Schrift liest weder du noch ich -
Hinter jedem Vorhang ist die Rede zwar von mir und dir,
doch wenn der Vorhang fällt, bist weder du noch ich.

                                                                Omar Chajjam


Heute sind die Wahlen in Afghanistan, und gestern wurde die Fotoreporterin Anja Niedringhaus erschossen. Wieso berührt mich dieser Tod in besonderer Weise?
In ihren Interviews hat sie betont, dass sie sich nicht so sehr für die Soldaten interessiert, sondern für das, was wir Zivilisten nennen. In diesem Wort "Zivilist" schwingt der Bezug zum Krieg stets mit. Zivilisten sind immer die, die im Kriegszustand nicht militärisch agieren. In der Regel sind es Kinder, Frauen, alte Menschen. Gäbe es nicht diesen Bezug, spräche man vielleicht einfach von den Menschen oder vielleicht von den Bewohnern eines Landstrichs, einer Stadt.
Anja Niedringhaus, so schreibt der Journalist Hasnain Kazim, der mit ihr befreundet war, heute in seinem Nachruf, habe gesagt: "Ich fotografiere selten Soldaten, weil mich das nicht interessiert. Mich interessiert: Was passiert danach, wenn sie geschossen haben, was ist das Ergebnis für die Menschen?"
 
Auch ihre Kollegin, Hannah Lucinda Smith, sprach in einer Radiosendung davon, dass es ihr Ethos sei, zu dokumentieren, was mit den Menschen geschieht, deren Leben vom Krieg bestimmt ist. Dass ihr Ziel sei, durch den Bericht über diese Menschen andere dazu zu bewegen, den Krieg abzulehnen.
Sie beklagte, dass es den Medien in den letzten Jahren immer mehr um die Berichte an der Front gehe und immer weniger um die Menschen, über deren Wirklichkeit Journalistinnen wie sie oder Anja Niedringhaus berichten wollten. (Ausnahmen bestätigen die Regel.)

Anja Niedringhaus habe ich nicht gekannt, nur ihre Arbeiten; ich bewundere ihren Mut und ihren Optimismus, ihre Leidenschaft, ein anderes Land gut kennen zu wollen, über die "sensationellen" Bilder hinaus. Ich finde es überaus traurig, dass sie mit dem Leben für dieses Engagement bezahlen musste - wie viele andere JournalistInnen heute in der ganzen Welt leider immer wieder.
TL










Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen